Zum Inhalt springen

Warum arme Menschen keine finanzielle Unabhängigkeit erreichen können

Okay, sie können es. Aber sehr viel schwieriger. finanzielle unabhängigkeit erreichen

Wer Finanzblogs im Allgemeinen und die FIRE-Szene im Speziellen verfolgt, weiß, dass viele „FI’ler“ aus der Mittel- oder der Oberschicht kommen. Meist sind es Akademiker*innen mit naturwissenschaftlichen Berufen. In der Regel Gutverdiener. Oft kinderlos. Und hey – das ist auch okay.

Allerdings sollten wir, bei aller Sympathie für das Konzept der finanziellen Unabhängigkeit, nicht die Realität aus den Augen verlieren. Knapp vier Millionen Menschen in Deutschland sind Empfänger von Arbeitslosengeld II („Hartz 4“). Einige von ihnen gehören zudem zu den 4,5 Millionen, die ausschließlich geringfügig beschäftigt sind („Minijob“).

Zusätzlich fallen 4,1 Millionen Deutsche in die Gruppe der vollzeitbeschäftigten Geringverdiener. Dazu zählen alle, die trotz Vollzeitbeschäftigung weniger als rund 2.200 Euro brutto im Monat „verdienen“. Diese Zahl, die angibt, wie viele Personen trotz Arbeit armutsgefährdet sind, betrug im Jahr 2004 noch 1,9 Millionen. Heute ist es jede*r fünfte Vollzeitbeschäftigte. Damit belegt Deutschland im europäischen Vergleich den letzten Platz. Nur so als Info für alle, die glauben, dass wir in einem außerordentlich sozialen Land lebten. Stimmt, die Sozialleistungen sind gut. Aber die Chancen sind es nicht.

Anzeige

Zudem wächst mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland in relativer Armut auf. Das sind 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Für Menschen mit geringem Einkommen ist es viel schwieriger, die finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Die Ursachen hierfür, haben allerdings nicht nur etwas mit dem Einkommen zu tun.

Profilierung und Scham finanzielle unabhängigkeit erreichen

Wer kennt nicht die Dokumentationen über Lottogewinner*innen, die über Nacht reich und über wenige Jahre wieder arm geworden sind. Lebten sie jahrelang von wenigen hundert Euro pro Woche, so beschert die Glückspiellotterie den heiß ersehnten Geldregen. Auf einmal wird aus Wünschen Realität. Ein neues Auto, teure Urlaube, vielleicht ein Haus. Und der eine oder andere Freund bekommt auch noch ein kleines Geschenk ab. Aber zwei oder drei Millionen Euro sind schneller weg als so mancher glauben mag. Teure Anschaffungen ziehen teure Instandhaltungskosten nach sich.

Aber selbst jene, die nicht im Lotto gewonnen oder ein Vermögen geerbt haben, leben manchmal auf zu großem Fuß. Markenkleidung, der neueste Technik-Schnick-Schnack, das (eigentlich nicht finanzierbare) Eigenheim, die Mittelmeer-Kreuzfahrt. Gerade Menschen mit geringem Einkommen möchten „dazu gehören“. Nicht als Unterschicht betitelt und als solche behandelt werden. Und das ist absolut nachvollziehbar. Dennoch verstärkt gerade dieses Verhalten die Kluft zwischen den Vermögenden und denen, die von Monat zu Monat leben und nicht langfristig Vermögen ansparen.

Anzeige

Fehlende Finanzbildung

Die Überschrift könnte auch lauten: Fehlender Zugang zu Finanzinformationen. Allerdings wäre das heutzutage nicht mehr ganz korrekt. Denn das Internet bietet eine Fülle von Infos zu verschiedenen Finanzprodukten, Spartipps und Erfahrungsberichten. Verbraucherschützer, unabhängige Finanzberater und – nicht zuletzt – private Blogs wie im Finanzblogroll, bieten gute Informationen rund um das Thema Geldanlage.

Trotzdem ist das finanzielle Grundverständnis bei Menschen mit besserer Schul- und Universitätsausbildung natürlich stärker ausgeprägt. Sei es durch einen Crashkurs im Fach Sozialkunde, Grundlagenwissen in Statistik und Algebra oder durch einen vertiefenden Einblick im betriebswirtschaftlichen Studium. Jugendliche und Erwachsene mit besserer Bildung sind gegenüber finanziellen Fehlern, wie Konsumkrediten, geschlossenen Fonds oder Ponzi Schemen besser vorbereitet.

Schlechte Vorbilder finanzielle unabhängigkeit erreichen

Das einzige was arme Menschen vererben, ist ihre Armut. Klingt hart, ist aber so. Vor allem in Deutschland, wo der arm bleibt, der arm ist und der reich bleibt, der reich ist. Wessen Eltern von Monat zu Monat „überleben“ und kein Vermögen aufbauen (können), neigen später dazu, es ihnen gleich zu tun. Schulden, fehlendes Sparverhalten, keine Rücklagen – der Mensch ist halt ein Nachahmer.

Letztens habe ich in einem YouTube-Video eine interessante These aus der Verhaltensforschung gesehen. Demnach entwickelten Kinder häufig eine Persönlichkeitsstörung, deren Eltern ihnen ein bestimmtes Verhalten verbal anerziehen wollen, aber selbst ein ganz anderes Verhalten vorleben. Keine Ahnung, ob das stimmt. Aber aus der eigenen Beobachtung ist da schon was dran. Das Sparverhalten ist ja ein gutes Beispiel.

Natürlich entwickeln manche Menschen auch genau umgekehrte Verhaltensmuster. Aber Kinder, deren Eltern arm waren und jeden Pfennig umdrehen mussten, sind häufig ausgabefreudiger. Zumindest dann, wenn sie sich einen gewissen Wohlstand erarbeitet haben.

Familiäres Startkapital

Aber nicht nur die finanzielle Erziehung hat einen Einfluss. Auch das „familiäre Startkapital“ spielt eine wichtige Rolle. Die Unterschicht bekommt von ihren Eltern selten Geld fürs Studium, keine Anzahlung für eine Immobilie oder das erste Auto. Dabei können all diese Dinge den Weg zur finanziellen Unabhängigkeit ebnen, beziehungsweise beschleunigen.

Stattdessen benötigen Eltern aus ärmeren Familien (insbesondere im Alter) oft selbst finanzielle Unterstützung. Oder hast du schon mal in einer Ausgabenaufstellung von Frugalisten oder Minimalisten den Posten „elterliche Unterstützung“ oder „Zuschuss zum Pflegeplatz“ gelesen? finanzielle unabhängigkeit erreichen

…und wat‘ nu?

Was also tun gegen die ungleichen Startbedingungen? Wie können Menschen auch mit geringem Einkommen ohne Erbschaft und Lottogewinn ihre Reise Richtung finanzielle Unabhängigkeit antreten? Und macht es dann überhaupt Sinn?

Ich glaube schon. Und zwar aus mehreren Gründen.

1. Geduld. Mit geringeren Sparquoten dauert der Vermögensaufbau länger. Dennoch lohnt es sich anzufangen. Und wer mit niedrigen oder mittleren Einkommen nach einigen Jahren ein finanzielles Polster aufgebaut hat, dem gehört mein größter Respekt. Denn das ist eine deutlich bedeutendere Leistung als mit einemhohen Einkommen.

2. Information. Wie bereits erwähnt, gibt es eine Fülle von guten und kostenlosen Finanzinformationen. Man muss sich nur damit beschäftigen. Wer in seiner Kindheit keine ausreichende finanzielle Bildung erhalten hat, kann das nachholen. Es ist nie zu spät.

3. Motivation. Ein wichtiger Faktor beim Vermögensaufbau ist die langfristige Motivation. Also die Frage: Warum mache ich das überhaupt? Das klingt banal, ist aber sehr wichtig. Nur eine gute und intrinsische (also von innen herauskommende) Motivation hilft uns dabei, langfristig am Ball zu bleiben.

4. Blick nach vorn. Vielleicht kann es sinnvoll sein, die Vergangenheit auszublenden. Zumindest sollte man sich der eigenen Glaubenssätze bewusst sein und versuchen, die „schlechten“ nach und nach abzubauen. Beispielsweise hat sich in unserer (deutschen) Gesellschaft der Glaubenssatz verfestigt, dass Geld etwas Schlechtes sei. Besonders bei denen, die keines haben. Aber Geld ist nur der Mittel zum Zweck. Zu mehr Unabhängigkeit, mehr Freiheit, mehr F***You.

Mein großer Respekt gilt allen, die trotz geringem Einkommen und schlechteren Startbindungen ihre Reise zur finanziellen Freiheit begonnen haben. Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass das Ziel ihrer Reise nicht das gleiche sein muss, wie bei vielen anderen Finanzbloggern und Frugalisten. Vielleicht ist es auch nur die finanzielle Sicherheit. Also die Gewissheit, dass man die nächste Rate abbezahlen oder die Lebensmittel für die nächste Woche kaufen kann.

Und alle, die das Glück eines wohlhabenderen und/oder gebildeteren Elternhauses hatten, können sich über die wachsende Ungleichheit in unserem Land Gedanken machen. Ich gehöre dazu. Und trotz potentieller Vorteile durch eine liberal-konservative Regierung, sympathisiere ich durchaus mit denen, die unsere Gesellschafft fairer gestalten wollen. Nicht durch höhere Sozialleistungen, sondern durch Bürokratieabbau, Digitalsteuern für Großkonzerne und vor allem durch überfällige strukturelle Veränderungen. Neben den GRÜNEN, der LINKEN, der SPD, gibt es übrigens auch noch interessante Kleinparteien: Volt, die ÖPD und viele andere. Es lohnt sich ein Blick über den Tellerrand.

P.S. In der neuen Ausgabe des Finanzblogroll Magazins geht es um die Bundestagswahl 2021 und die Meinungen der (großen) Parteien zu den Themen Altersvorsorge, Rente und Steuern. Reinschauen lohnt sich also wieder! 🙂

 

Teile diesen Beitrag, um den Finanzblogroll zu unterstützen
Share on facebook
Facebook
Share on linkedin
Linkedin
Share on reddit
Reddit
Share on whatsapp
Whatsapp
Share on pinterest
Pinterest
Share on twitter
Twitter
Anzeige

3 Gedanken zu „Warum arme Menschen keine finanzielle Unabhängigkeit erreichen können“

  1. Hallo Felix,
    Vielen Dank für den schönen Artikel.

    Ein Blog in dem die Elternunterstützung monatlich aufgelistet wird ist der folgende:
    https://retireby40.org/may-2021-goals-financial-update/

    Persönlich habe ich erst nach dem Ende der Elternunterhaltsunterstützung angefangen mit dem investieren. Somit ist mein Ziel vorerst die Rentenlücke zu schließen. Rente mit 40 oder auch 50 ist für mich nicht mehr möglich (habe ja auch erst mit 42 angefangen…).

    Meinen Kindern möchte ich aber schon gerne das Konzept vermitteln, so dass es für sie möglich ist.

    Ich freue mich schon auf das neue Magazin!

    Viele Grüße und ein schönes Wochenende
    Renate

  2. “Stattdessen benötigen Eltern aus ärmeren Familien (insbesondere im Alter) oft selbst finanzielle Unterstützung. Oder hast du schon mal in einer Ausgabenaufstellung von Frugalisten oder Minimalisten den Posten „elterliche Unterstützung“ oder „Zuschuss zum Pflegeplatz“ gelesen?

    “Elternunterhalt” muss man in Deutschland erst ab 100k Jahreseinkommen zahlen. Damit fallen die armen Familien idR. raus. Natürlich gibt es trotzdem Familien die viel für ihre Eltern im Alter tun, aber das ist dann vllt auch aus Unwissenheit über Pflege und Betreuungsstufen/Geld.
    und man würde als jemand der in den Medien als “knallharter Kapitalist” dargestellt wird seinen Eltern auch keine Zeit “schenken” sondern lieber den nächsten Mitmenschen ausbeuten um sich selbst zu bereichern…

    1. Pflichtzahlungen und freiwillige Unterstützung sind sicherlich zu trennen. Aus dem eigenen Verwandten- und Bekanntenkreis weiß ich, wie viele “freiwillig” ihre Eltern finanziell unterstützen. Und sei es indirekt durch Zuzahlungen für Frisör, Innenausstattung etc.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert