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Finanzblogroll “Tacheles!” … mit Hartmut Walz

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Der folgende Beitrag erschien erstmals in der 19. Ausgabe des Finanzblogroll Magazins (Juni 2022)
Hartmut Walz

Über „leicht erreichbare Opfer“, Pforzheim, Jager-Tee und die Tausendfüßler-Strategie

Herr Walz, jetzt ma‘ Tacheles!

Wenn man sie googelt, findet man „Prof. Dr. Hartmut Walz – Arzt im Limburgerhof, Rheinland-Pfalz“. In diesem Sinne: Wie krank ist die deutsche Finanzwirtschaft?
Antwort: Ganz offen gestanden empfinde ich den Zustand der deutschen Finanzindustrie, also den der Anbieter als ziemlich gut – nur die Kunden kommen schlecht weg. So nach dem Motto: Ihr Geld ist ja nicht wirklich weg – es hat halt nur ein anderer. Mein Verbraucherschutzherz ist da schon häufig sehr gestresst.

Aber die Geschichte von Google, dass ich ein Arzt sei, amüsiert mich nur noch. Den Fehler versuchte ich schon vor vielen Jahren zu korrigieren – jedoch ohne Erfolg. Und während der Corona-Pandemie hätte ich mit Impfungen wohl reich werden können – ständig riefen Leute an, die einen Impftermin haben wollten. Wahrscheinlich weiß der Google-Algorithmus besser als ich, dass ich eigentlich ein Arzt sein müsste. Ich bin froh, dass er nicht denkt, dass ich eigentlich Bestatter sei. Ich habe den Versuch der Richtigstellung aufgegeben.

Seit 1993 lehren Sie an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen am Rhein über Finanzkompetenz, Anlageklassen und Finanzpsychologie (Behavioral Finance). Was hat sich hier in den letzten 30 Jahren verbessert?
Jede Menge! Es gibt hervorragende passive Investmentprodukte, wie Indexfonds und ETFs, mit denen auch Leute mit nur kleinen Beträgen bei nur minimalen Kosten und bester Transparenz an den Früchten der Wirtschaftsentwicklung teilhaben können. Das war noch nie so einfach wie heute!

…und was hat sich verschlechtert?
Die Finanzdienstleistungslobby hat sich in den letzten Jahren immer besser aufgestellt und hat ein riesiges Budget, um die Bürgerinnen zu verdummen und die Presse selbst in redaktionellen Beiträgen zu beeinflussen. Unser Problem ist nicht mangelnde Finanzbildung, sondern gezielte und gesteuerte Desinformation. Das Zeitalter der Aufklärung hat die Finanzmärkte noch kaum erreicht. Außer Ihrem Finanzblogroll, ein paar tapferen Finanzbloggern und den Schriften von Finanztest vielleicht. Über meinen eigenen Blog schweigt des Sängers Höflichkeit.

Hartmut Walz
© Urheber: Hartmut Walz I hartmutwalz.de

Ihr Geburtsort ist Pforzheim (keine Angst, das Jahr verraten wir nicht). Welche drei Dinge müssen wir über oder von Pforzheim wissen?
Pforzheim kommt von „Pforte zum Schwarzwald“ und ist wirklich für naturverbundene Menschen ein guter Ausgangspunkt für tolle Wander- und Erholungserlebnisse. Pforzheim war vor dem Zweiten Weltkrieg Deutschlands Zentrum für Uhren und Schmuck und hat sich nach völliger Zerstörung und disruptiven Veränderungen der Branche auch wieder selbst völlig neu erfunden. Heute ist Pforzheim in vielen Teilen eine durchaus hübsche und sehenswerte Stadt. In meiner Kindheit hatte ich hingegen häufig das Gefühl: „Schade, dass Beton nicht brennt“…

Butter oder Margarine?
Hmm, am liebsten Olivenöl.

Kaffee schwarz oder mit Milch?
Tee – am liebsten Jagertee – noch Fragen?

Aufzug oder Treppe? Hartmut Walz
Treppe – selbst mit zwei Koffern und ohne Handlaufnutzung (auch wenn ich in der BASF dafür mal eine Abmahnung erhalten habe).

Wofür steht LeO?
Für „Leicht erreichbares Opfer“ – eine bei Versicherungsvermittlern und Bankmitarbeitern gängige Bezeichnung für Menschen, die gleichzeitig Bedarf an Finanzdienstleistungen und wenig Ahnung in finanziellen Dingen haben. Das Erlernen dieses Begriffs war mein persönliches „Erweckungserlebnis“ während meiner Bankausbildung und führte direkt zu der Entscheidung, nach dem Abschluss der Lehre nie wieder auf die „dunkle Seite“ zurückzukehren. Eine Doktorarbeit über Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen und mein heutiges Engagement für ehrlichere Kundenberatung statt reinem Vertrieb sind die konsequenten Folgen der „LeO-Erfahrung“.


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Wie viel darf eine gute Honorarberatung kosten?
Mindestens dreimal mehr als die meisten Menschen denken. Denn selbst dann wäre Sie noch ein gutes Stück preiswerter als die derzeit vorherrschende „Beratung“, die durch versteckte oder zumindest unterschätzte Provisionen finanziert wird.

Sind börsengehandelte Indexfonds (ETFs) die beste Finanzerfindung aller Zeiten?
Diese Behauptung wäre sicher übertrieben, denn erstens wissen wir ja nicht, was noch kommt und zweitens decken ETFs ja nur Anlagebedürfnisse und keine Finanzierungsbedürfnisse von Menschen ab. Aber eine wichtige Erfindung sind Indexanlagen schon. Wobei es für seriöse Langfristanleger gar nicht so wichtig ist, ob diese börsengehandelt sind oder nicht. Viel wichtiger sind Transparenz, geringe Kosten und die möglichst breite Streuung.

…aber wie sicher sind ETFs?
Perfekte Sicherheit gibt es erst im nächsten Leben. Aber für dieses Leben finde ich ETFs bis heute so sicher, dass ich ihnen einen erheblichen Teil meiner Vermögensbildung und Vorsorge anvertraue.

Gleichzeitig fordere ich trotzdem weitere Verbesserungen in der Regulierung – das ist kein Widerspruch. Das bestehende Sicherheitsniveau ist jedoch auf alle Fälle erheblich besser als bei allen Anlagezertifikaten. Diese meide ich konsequent.

Wie ist Ihre persönliche Anlagestrategie?
Es ist eine prognosefreie Meta-Strategie, die ich als „Tausendfüßler-Strategie“ bezeichne. Ein Tausendfüßler kann darüber lachen, wenn er mit einem oder ein paar Füßen ausrutscht. Genau diesen Zustand strebe ich an. Hat man das erst einmal verstanden, ist die Umsetzung ganz einfach und man sorgt sich nicht mehr vor den falschen Risiken. Ich hoffe, es ist nicht unbescheiden, wenn ich hier mein Buch „Einfach genial Entscheiden im Falle einer Finanzkrise – Konstruktive Crashgedanken* empfehle. Da wird die Tausendfüßler-Strategie sehr verständlich vorgestellt.

Was war Ihr größter Finanzfehler?
Es war ein Fehler, den ich dreimal begangen habe. Ich habe drei Freunden aus falscher Verbundenheit bzw. dem Gefühl des Verpflichtetseins Geld geliehen – trotz eines klammen Bauchgefühls. In allen drei Fällen habe ich das Geld nicht mehr wiedergesehen. Das waren mehr als zwei Euro fünfzig und hat richtig weh getan.

Ihr Buch Einfach genial entschei-den* bekommt fortlaufend gute Bewertungen (zuletzt auch im Finanzblogroll Magazin). Wird es noch weitere Auflagen geben?
Danke für die Blumen – die kurze Antwort ist ein klares „Ja“. Mein Vertrag mit dem Verlag ist bei allen Büchern so, wie die Mitgliedschaft in der Mafia – und kann nur durch den eigenen Tod beendet werden. Und da ich sehr gesund lebe und nur wenig Butter esse, sind weitere Auflagen zu befürchten. Aber nur in größeren Abständen, denn die Empfehlungen ändern sich ja nicht so schnell wie die Börsentipps, sondern sind ziemlich zeitstabil. Wir wissen alle: In der Zeitung von heute wickelt man morgen auf dem Markt die toten Fische ein….

Urlaub am Strand oder in den Bergen?
Meine Frau liebt die Berge und ich liebe meine Frau – alles klar?

Schon klar. Happy wife, happy life.

Komödie oder Krimi?
Ganz klar Komödie, denn ich kann kein Blut sehen.

Wein oder Bier? Hartmut Walz
Beides. Plus Tee – am besten Jagertee. Sie erinnern sich?

Leider ja… Team Mayo oder Ketchup?
Weder noch – beides möchte ich meinen lieben Mitmenschen nicht wegessen und verzichte gerne darauf.

Welche drei Eigenschaften braucht ein guter Investor?
1. Selbstreflexion – also Kenntnis über die eigenen Schwächen.
2. Geduld und die Fähigkeit, Durststrecken zu ertragen.
3. Versöhnung von Kopf und Bauch, also Ratio und Emotion. Wenn Kopf und Bauch zusammenarbeiten sind sie ein gutes Team.


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Wie sinnvoll sind Nachhaltigkeits-ETFs?
Leider nicht besonders sinnvoll. Jedoch sind aktive Nachhaltigkeits-Fonds noch weniger sinnvoll, sondern nur erheblich teurer. Ich würde sooo gerne etwas Positiveres sagen. Bitte lieber nachhaltig konsumieren als pseudonachhaltig auf globalen Kapitalmärkten investieren.

Nachhaltiges Investieren funktioniert nur lokal – also zum Beispiel durch Erwerb einer eigenen Photovoltaikanlage – nicht jedoch auf Kapitalmärkten.

Seit Ende 2020 sind Sie auch auf Instagram aktiv. Spaß oder Pflicht?
Auf keinen Fall Pflicht, sondern zum Teil Spaß und zum Teil Sinnerfüllung.

Bitte vervollständigen Sie…

  • Chin Meyer ist … einer der klügsten und gebildetsten Menschen, die ich kenne. Und dass er lustig ist, stört mich daher nicht.
  • Finanzblogs sind … wenn sie unabhängig sind, ein unverzichtbares Gegengewicht zur anzeigenabhängigen Presse.
  • Finanzielle Freiheit ist … wenn man „fuck you-money“ hat, also zum Beispiel sogar als Professor eine eigene Meinung kommunizieren kann.
  • Christian Lindner ist … sicher klug und hat gute Ansätze. Leider gleichzeitig ein großer Lobbyist der FD-Industrie und damit ein Verhinderer von Verbraucherschutz und ehrlichen Finanzmärkten.

YouTube-Tipp: Hartmut, Chin und der Rüpel Rürup

Hartmut Walz


Brauchen wir eine Steuer auf börsliche und außerbörsliche Finanztransaktionen?
Kurze Antwort: Nein! Begründung: Das Ziel ist einer Finanztransaktionssteuer ist ehrenwert, aber die Nebenwirkungen der Medizin sind schlimmer als die Krankheit. Also Nein!

Was ist Ihre größte Macke?
Mein Streben nach Gerechtigkeit, Fairness und Chancen für ehrliche und fleißige Unterprivilegierte. Diese Macke hat mich schon mehrfach in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. Und mich eine Menge Geld gekostet. Aber ich empfinde dieses Geld als gut angelegt.

Das Wichtigste in meinem Leben ist…
Meine größte Macke Hartmut Walz

Spaghetti oder Pizza?
Beides! Es kommt nur auf die Qualität an. Und Salat dazu! Und natürlich ein guter Tee! Warum geht es hier eigentlich so viel um Essen & Trinken?

Ist ja gut… Wir gehen auf ein Konzert. Pink Floyd, PUR oder Grönemeyer?
Ah, kein Essen oder Trinken diesmal. Also: Pink Floyd

Wofür würden Sie mitten in der Nacht aufstehen?
Da gäbe es viele Antworten. Wobei man für die wichtigste ja auch liegen bleiben könnte. Ich bin sicher, Sie kommen darauf, was ich meine…

Jagertee? Hartmut Walz

Ihre Videos auf YouTube sind meistens sehr kurz. Ist die Aufmerksamkeitsspanne der „Generation Goldfisch“ nicht länger?
Ich habe zwar einige kurze YouTubes, aber auch sehr lange mit über 1,5 Std. Falls Ihnen diese entgangen sein sollten – darf ich Sie Goldfisch nennen?

Solange ich keinen Jagertee mit ihnen trinken muss… Hartmut Walz


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Andere Frage: Sind Provisionsberater auch nur Menschen?
Klar und zwar keinesfalls schlechte. Ich bin Ökonom. Und wenn man verstanden hat, dass Ökonomie nicht die Lehre von den Geldtöpfen, sondern die Lehre von Anreizen (und Fehlanreizen) ist, dann öffnet sich eine ganz neue Perspektive.

Wir machen einen Deal: Bei bundesweitem Verbot von Provisionsberatung tätowieren Sie sich „L.E.O.“ auf…
Ach, ich tätowiere mir überhaupt nichts überhaupt nirgendwo hin, weil… wir das bundesweite Verbot von Provisionsberatung auch so in wenigen Jahren erreichen werden.

Finanzstrukturvertriebe, Bausparkassen, Fondsgesellschaften – haben wir irgendeine Chance als David gegen diese Armee aus Goliaths?
Aber klar doch – wissen Sie etwa nicht, dass David damals gewonnen hat. Geschichte wiederholt sich!

Ich habe die Geschichte nie zu Ende gelesen. Sie wissen ja: Goldfisch und so…

Sie haben es zu einer eigenen Wikipedia-Seite geschafft. Respekt! Aber was steht dort nicht, was wir unbedingt von Ihnen wissen sollten?
Da steht übrigens ja auch mein Geburtsjahr, das Sie vorhin nicht verraten wollten 😊 Aber ansonsten: Sie müssen nicht mehr über mich wissen, denn ich bin überhaupt nicht wichtig. Aber bei Ihnen fasziniert mich ungemein, wie Sie als Papa von 3 Kids und „im Nebenjob“ alles um den Finanzblogroll wuppen. Kompliment!

Sie wissen ja: Das Böse schläft nie.

Haben Sie zum Abschluss noch einen Pfälzer-Witz für uns?
Ich fürchte, Sie haben das mit den Pfälzer-Witzen nicht richtig verstanden. Es gibt in Wahrheit keine Witze über Pfälzer – keinen einzigen! Die Dinge liegen völlig anders. Es ist alles wahr!

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Vielen Dank Herr Walz! Fröhlicher Smiley

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Finanzblogroll Magazin Juni 2022

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